Sonntag, 12. März 2017

Listening

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Warum Musik in einem ReiseBlog? 
… im PhotoBlog zum Reiseblog noch dazu ??


Ich erinnere mich, als Kind von vielleicht 5 oder 6 Jahren heimlich zur Musik aus unserem alten Dampfradio getanzt zu haben. Ich erinnere mich natürlich nicht, was das für Musik war, aber ich erinnere mich wie frei und leicht ich mich dabei fühlte.
Das familiäre Biotop war in jenen Tagen doch eher vom diktatorisch-patriarchalen Stil geprägt … und das ist schon eher ein Euphemismus.
So bot mir das Radio, die Musik einen Ausweg, den ich allein und im Verborgen ging.


Als ich ungefähr 11 war, bekam ich zu Weihnachten einen Kassettenrecorder  geschenkt, das alte Dampfradio war inzwischen sowieso in meinen Besitz übergegangen, da meine Eltern ein neues Radio im sogenannten „Zeitlosen Stil“ hatten.

So hockte ich im Kinderzimmer auf dem Sofa, den Recorder über ein altes braunes Kabel aus Vorkriegsproduktion und zwei selber angelötete Lautsprecherstecker ans Radio angeschlossen, den Kopf dicht am Lautsprecher.

Ich lauschte in die Welt hinaus und nahm die Musik auf meinen Recorder auf, übersetzte, mehr schlecht als recht, mit meinen spärlichen Englischkenntnissen und dem zweibändigen Schöffler&Weiss Englisch-Deutsch/Deutsch-Englisch Schulwörterbuch die Texte der Songs die auf BFBS (British Forces Broadcasting Service) liefen.
Die aufgenommen Kassetten beschriftete ich ordentlich und hatte, in kürzester Zeit einen ganzen Schuhkarton voll davon. 


Dies waren andere Tage, die Beatles hatten sich grad getrennt, die Studentenrevolution war in vollem Gange und Neill Armstrong betrat den Mond. Die Welt schien unendlich und die Möglichkeiten wahrhaft grenzenlos.
Ich sass, den Kopf in den Wolken, und lauschte den  Geräuschen, die die Welt beim Drehen um ihre Achse machte. Ich träumte von der Ferne, die mir das Radio auf mein Sofa brachte und wünschte mich nach London, Rio und New York oder in den dampfenden Dschungel des Kongo.




Es war wohl kein Zufall, ich glaube, es war unvermeidlich, dass bei all diesen Ohrenreisen der Jazz mich eroberte, denn er redete mit mir, so wie ich fühlte. Die Saxophone erzählten mir vom Duft der Fremde und die kehligen Stimmen der Musiker rieten mir, mich auf den Weg zu machen.

Damals aber waren andere Sachen dringlicher, die Schule und die aufkommende Pubertät und die erste Liebe. So blieb ich wo ich war und begann ein ganz normales Leben mit einem normalen Job und normalen Absichten, Ansichten und Aussichten.
Die Stunden vor dem Radio wurden seltener weil die Knutschereien mehr wurden und meine Hormone jeden Tag einen anderen Looping mit mir fliegen wollten.

Viele Jahre später, die erste Liebe war inzwischen gegangen und ich lebte weit im Norden auf einer Insel im Meer, kam die Musik zurück. 
Neuer Jazz von neuen Musikern und der Blues kam dazu, der eine ganze Weile meine chaotische Gemütslage treffender beschrieb als der doch eher coole, erzählende Jazz.

So reiste ich nach Marokko und Portugal und Frankreich, die Musik aus dem Schuhkarton in meinem Gepäck, denn die ersten Walkman kamen auf und ich konnte die Cassetten die ich jahrelang aufgenommen hatte, endlich auch unterwegs hören.

Meine damalige Liebe lebte in der Bretagne und die Reisen dorthin waren ein heisses Bad in den Zugabteilen eingehüllt in Jazz und Blues. Die Leidenschaft für Madeleine bekam ihre Frischluft unter Anderem auch aus unserer gemeinsamen Lust an dieser Musik, während ihre Eltern für mich kaum Zuneigung entwicklen mochten. So blieb diese Liebe irgendwann auf der Strecke, denn das Leben wollte, dass wir jeder unseren eigenen Weg gehen. Madeleine begann ihr Studium in Paris und ich besuchte sie dort, wir trieben uns nächtelang in den Jazzclubs und Bars rum … eine Weile lang … doch ebenso trieben wir in der räumlichen Distance auseinander denn es kamen andere Begegnungen und eine andere Liebe … bei jedem von uns beiden, aber das ist eine andere Geschichte.

In jenen Tagen, als sich die frische Luft zwischen Madeleine und mir bereits in ungemütliche Zugluft verwandelt und meine Leidenschaft  für sie abkühlt hatte, machte ich mich mit einer anderen Geliebten, Ilonka,  auf den Weg nach Berlin. 
Damals noch eine geteilte Stadt in Feindesland. 
Nie vergesse ich die graue Trostlosigkeit des real existierenden Sozialismus.
Westberlin dagegen ein goldener Käfig voller bunter Vögel.

So lebten wir hier und da und übernachteten bei Freunden und Fremden, faulenzten, feierten und erwachten an Orten, die wir nicht kannten. Wir soffen und kifften und liebten von Tag zu Tag, von Nacht zu Nacht.

Eines Morgens, als ich erwachte, die Haare der Geliebten klebten in meinem Gesicht und mein Mund fühlte sich innen an als habe ich Sand gegessen, wurschtelt ich mich aus einem fremden Bett. Ich machte mich auf die Suche nach einem Wasserhahn oder einem Bier oder sonstwas trinkbaren.
Es war ein kleines Holzhaus, eher eine Hütte, die Decken niedrig, der Geruch von Menschen und Müll hing in der Luft, durch die Fensters viel von Blättern hellgrün gefärbtes Sonnenlicht herein und draußen spielte jemand Trompete, aber dafür hatte ich grad kein Ohr.
Ich fand sowas wie eine Küche und trank direkt aus der Leitung bis die Glut in meinem Mund gekühlt war.

„U want a coffee?“ … in der Türe stand ein Mann mit einer Trompete in der Hand.
Er war hager und sein gefurchtes Gesicht wirkte als habe er viel erlebt, seine Stimme klang ein wenig hohl, als fehlten ihm ein paar Zähne.

Er legte die Trompete langsam auf eine Kommode, setzte Wasser auf einen Gaskocher. 

Während das Wasser kochte sassen wir auf einer Bank vor der Türe und schauten in den Garten und quasselten miteinander über Jazz und Dies und Das … soweit das im englisch/deutschen Kauderwelsch ging.
Er war Musiker und hatte in der Nacht einen Auftritt gehabt, bei dem wir offensichtlich anwesend gewesen waren. Ich konnte mich schwach dran erinnern und absolut nicht wie wir in diese Gartenlaube gekommen waren.

„Gerd brings you here“ klärte er mich auf. Ein Freund von mir hatte uns hier deponiert, weil seine Stadtwohnung wohl überbelegt gewesen war. 
Ilonka setzte sich zu uns und der Mann brachte drei Tassen Kafi.

Später kam Gerd und holte uns ab und wir kochten ein fantastisches Chilli bei ihm daheim und assen und tranken korsischen Rotwein und redeten über die letzte Nacht.

„Wisst ihr, wer das war, der Mann im Gartenhäuschen?“ fragte uns Gerd.
Nö … natürlich wussten wir es nicht und wir hatten ihn auch nicht nach seinem Namen gefragt.
„Chet Baker war das“ grinste Gerd uns an.

Ich erinnerte mich an die Trompete im Garten am Morgen die durch den Halbsuff zu mir durchgedrungen war. Leicht und etwas traurig hatte ich die Melodie in Erinnerung … ich kannte sie irgendwo her. „As time goes by“ sagte Ilonka, die sie offenbar auch gehört hatte.


Das war der Tag an dem mir Chet Baker Kafi kochte.

Erst auf der Rückfahrt auf die Insel erinnerte ich mich, dass er mich im Garten gefragt hatte, ob ich schon in New York gewesen sei. „The Music play there, go to New York“ hatte er noch hinzugefügt.

Chet Baker
Es sollte noch 35 Jahre dauern bis ich seinem Rat folgte.

Er ist inzwischen tot. Seine Musik nicht.

Musik ist noch immer so ein ganz privater Ausweg für mich, ein  Vehikel für meine Reisen nach innen und der Rhythmus für meine äusseren Reisen ...



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